Tilman Baumgärtel, D
Gaststätte "Zur Post", Tornitz
„Du wurdest gerade gelöscht!”
Eraser, Mission Impossible, Independence Day:
Das Hollywoodkino ringt mit dem Verschwinden des Sichtbaren in der Technologie.


Der Ausgangspunkt

Am Ende von Eraser stehen sich Arnold Schwarzenegger und James Caan nach einer Verfolgungsjagd durch eine Waffenfabrik plötzlich allein in einem langen, weiß getünchten Gang gegenüber. Sie haben sich durch den ganzen Film gejagt. Caan (der Böse) hat seinen ehemaligen Freund und Kollegen Schwarzenegger (der Gute) erst verraten, dann versucht, ihn umzubringen. Als sie jetzt überraschend miteinander konfrontiert werden, stehen viele Menschenleben auf dem Spiel. Wenn Caan überlebt, wird eine neue Wunderwaffe in die Hände der Russenmafia geraten. Und wahrscheinlich wird auch Vanessa Williams sterben, die Schwarzenegger, der Agent eines Zeugenschutzprogramms ist, beschützen soll. Leichte Kamerauntersichten unterstreichen die Dramatik der Situation. Es ist eine archetypische Szene, ein Duell auf Leben und Tod. Gleich wird jemand sterben. Wir haben diese Szene schon tausendmal in tausend anderen Filmen gesehen. Wir wissen, was geschehen wird, bevor Caan oder Schwarzenegger ihre halbautomatischen Waffen auch nur angehoben haben. Gleichzeitig beginnen die beiden zu schießen. Doch obwohl sie sich direkt gegenüberstehen und aufeinander feuern, wird keiner der beiden getroffen. Als würde ein Geist die Kugeln aus der Luft fischen, scheinen die Geschosse lautlos im Flug zu verschwinden, ohne den Köper des Gegners zu erreichen. Nach mehreren Salven blicken beide verblüfft auf die rauchenden Mündungen ihrer Waffen, dann auf ihren unverletzten Kontrahenten, dem sie gegenüberstehen wie ihrem eigenen Spiegelbild. Der Actionfilm Eraser leistet sich eine Situation, die nicht mit Gewalt gelöst werden kann …

Ein gut geputztes und darum unsichtbares Tor aus Glas teilt den Gang des High-Tech-Labors. Darum wird keiner getroffen: An der schußsicheren Scheibe prallen die Geschosse der beiden Gegner ab wie Flipperkugeln. Ein Überraschungstrick, weiter nichts. Und natürlich wird Schwarzenegger seinem Gegner am Schluß des endlosen Showdowns sein schmutziges Handwerk legen.
Diese Duellszene ist mir im Gedächtnis haften geblieben, weil sie mehr ist als ein verblüffender Effekt in einem Actionfilm. Sie beschreibt gleichzeitig ein Dilemma, das es dem traditionellen, narrativen Kino immer schwerer macht, seine Geschichten zu erzählen.

Das Problem

Das „Bewegungsbild” (Gilles Deleuze) des narrativen Kinos braucht physische Action, auf die es seine Kameras richten kann. Doch in der wirklichen Welt, in unserem Nicht-Kino-Alltag, verschwindet gerade diese physische Aktion jeden Tag ein Stück mehr. Sie wird ersetzt durch höchst abstrakte, optisch nicht mehr darstellbare Prozesse in Computern, Datennetzen, in Apparaturen, die in gesichtslosen Kisten stecken. Das Sichtbare – und damit das, wovon das Kino seit über hundert Jahren lebt – verschwindet in der Technologie.

Über einen guten, alten Banküberfall kann man einen zwei Stunden langen Film – wie Hundstage – machen. Wenn aber jemand – wie in Terminator 2 – mit einer manipulierten Kreditkarte einen Geldautomaten ausleert, ist die Szene nach maximal fünf Minuten abgefilmt. Die schlimmsten Verbrechen finden heute wahrscheinlich im elektronischen Geldkreislauf zwischen den internationalen Börsenplätzen statt. Dem Hollywood-Kino ist aber bis heute nichts Gescheiteres eingefallen, als Verfolgungsjagden wie zu Zeiten von The Great Train Robbery zu inszenieren. So wird man die Verbrechen, die Dramen, die Komödien und die Strafen des 21. Jahrhunderts wohl nicht mehr darstellen können.

Das traditionelle Hollywood-Kino hat sich lange um dieses Problem herumgedrückt. In den wenigen Hollywood-Filmen, in denen es um Computer geht, werden sie meist als das Reich des Bösen gezeigt, wie zum Beispiel in War Games, Sneakers oder Ghost in the Machine. Nur gelegentlich erscheinen sie als elektronisches Märchenland, als „Cyberspace” (Tron, Der Rasenmähermann). Aber die dramaturgischen Herausforderungen, welche die zunehmende Computerisierung der Welt an das Kino stellt, hat der amerikanische Unterhaltungsfilm bis vor kurzem ignoriert. Das änderte sich erst im letzten Jahr, als plötzlich auch Hollywood einen Internetanschluß hatte. In Filmen wie The Net, Exit out, Hackers oder Johnny Mnemonic war das Netz quasi als Hauptdarsteller vertreten, und man versuchte zum ersten Mal, die Vorgänge im Inneren des Computers anschaulich zu machen. In Hackers sah das Innere einer Datenverarbeitungsanlage aus wie eine Hightech-Designerwohnung; in Johnny Mnemonic versuchte man, mit Computer-Psychedelia und Barbara Sukowa den Datenfluß zu visualisieren.

Lösungsansatz mit Knarre

Eraser ist ein besonders nachdrücklicher Versuch, so zu tun, als könnte man das Verschwinden der sichtbaren Welt in der gestaltlosen Technik ignorieren. Die unsichtbare Wand aus kugelfestem Glas in der oben beschriebenen Szene repräsentiert den stummen Zwang der Verhältnisse in der technisierten und computerisierten Welt. Statt Gegnern aus Fleisch und Blut stehen Schwarzenegger und Caan einer unpersönlichen, abstrakten technologischen Macht gegenüber, gegen die ihre MG-Kugeln nichts ausrichten können, die noch nicht mal mehr zu sehen ist. Außer Eraser versuchen auch einige andere jüngere Hollywood- Produktionen, sich mit der Omnipräsenz von Computern im Alltagsleben und der globalen Datenvernetzung auseinanderzusetzen. Außer in Eraser spielen auch in Mission Impossible, Independence Day, Twister, Copykill und Assassins Computer und das Internet eine zum Teil entscheidende Rolle. In jedem dieser Filme wird versucht, das Problem des Verschwindens des Sichtbaren in der Technologie, das wir jetzt erleben, zu lösen.

Brecht hat in den zwanziger Jahren geschrieben, ein Bild von einem Krupp-Werk würde nicht zeigen, wie das Unternehmen Krupp funktioniert. Aber immerhin konnte man bei Krupp noch die Kamera auf Maschinen und körperlich arbeitende Menschen richten. Wer in den neunziger Jahren einen Arbeitsplatz der Dienstleistungsgesellschaft filmen will, muß Leute an Computern zeigen – und das ist nicht gerade ein Augenkitzel. Wie die Mechanismen funktionieren, die hinter deren Tätigkeiten stehen, ist vollkommen undarstellbar geworden.

Eraser verteidigt das Recht auf Darstellbarkeit mit dem Schnellfeuergewehr: Als Schwarzenegger kapiert, daß zwischen ihm und Caan eine Fensterscheibe ist, feuert er auf den Rauchmelder unter der Decke. Sprinkleranlage und Feueralarm legen los,
„and here we go again”: Wasser spritzt von der Decke, die Glasscheibe schiebt sich hoch, die kurze Atempause ist vorbei, und weiter geht die Verfolgungsjagd nach alter Manier – treppauf, treppab, durch Hinterhöfe, Schrottlager, Hafenanlagen. Die „Sichtblenden” unserer technisierten Lebenswelt – Schwarzenegger ist es noch einmal gelungen, sie wegzuballern.

Wieder und wieder rekapituliert Eraser diesen Akt der Re- Visualisierung von unanschaulichen, technischen Vorgängen: Als in einem Bürogebäude der Strom ausfällt und der Computer die überlebenswichtige CD-Rom nicht ausspuckt, hilft wieder nur eine kurze Salve mit der MG, um das Chassis des Rechners zu knacken. Später, als Schwarzenegger zum großen Abschluß-Shoot-Out schreitet, wirft er mit nonchalanter Geste sein Handy weg: Von hier an hilft keine draht- und körperlose Technik mehr, sondern nur noch pure physische Gewalt. Und auch die Hightech-Superwumme, um die sich der Film dreht, ist nicht mehr zu gebrauchen, als das Starkstromkabel reißt und der Saft weg ist. Schwarzeneggers altmodisches, mechanisches Maschinengewehr dagegen: Es schießt und schießt und schießt …

Der Arbeiter und sein Film-Double

Interessanterweise spielen in Eraser auch Mitglieder einer Industriegewerkschaft eine positive Rolle. Am Schluß des Films kommt Schwarzenegger eine Handvoll übergewichtiger Italo- Amerikaner aus dem Gewerkschaftsbüro der Hafenarbeiter mit ihren rohen Fäusten zu Hilfe. Die Szene am Hafentor sieht fast aus wie eine Parodie auf die Streiks und Arbeitskämpfe, die es in den USA schon lange nicht mehr gibt. Ein Wachposten, der mit körpergestütztem Funkgerät und anderem technischen Klimbim armiert ist, kriegt nach alter Sitte eins auf die Nuß, begleitet von dem Kommentar: „You just don’t fuck with the union!” (Mach bloß keinen Quatsch mit der Gewerkschaft!)

Dabei sind seit der „Reagan Revolution” die Gewerkschaften in amerikanischen Unterhaltungsfilmen abgewrackt worden wie niemand sonst außer den kolumbianischen Koksbaronen: Meist verjuxten sie die Mitgliedsbeiträge und waren ebenso skrupellos wie korrupt – und im übrigen schlicht ein Anachronismus aus der Zeit der industriellen Revolution, genauso wie die Arbeiterschaft, die sie vertraten.

„You’ ve just been erased!”, heißt es in Eraser immer wieder. Für die Arbeiterklasse im US-Film – und in den USA – gilt dasselbe: Sie ist einfach gelöscht worden wie eine Datei von einer Computerfestplatte. Sie ist nicht mehr sichtbar, weder im Alltagsleben noch im Kino, was in den USA beinahe dasselbe ist.

Die Deindustrialisierung Amerikas ist vom Film mitvollzogen worden: Hart arbeitende Blue-collar-Menschen mit Würde und Selbstbewußtsein, die ewigen Little Joes aus Frank Capras Filmen, sind im amerikanischen Kino kaum noch zu sehen. Statt dessen gibt es jede Menge verwahrlosten „white trash”, den man als tragische Figur ohne Krankenversicherung in einem Wohnwagen auf dem Schrottplatz besichtigen kann.

„Ein Nichts zu sein, trag’ es nicht länger”, forderte die „Internationale” vom Proletariat. Eraser erkämpft der Menschen Recht auf filmische Darstellung. Schwarzenegger und die Verdammten dieser Erde – das ist eine seltsame „Solidargemeinschaft”. Doch dieselbe Technik, die die amerikanische Arbeiterklasse „gelöscht” hat, macht jetzt Schwarzenegger arbeitslos. Auch „The Last Action Hero” ist ein Modernisierungsverlierer: Die Apparate, die die Aufgaben der Industriearbeiter übernommen haben, sind dieselben, die jetzt im Kino nach nichts aussehen. Und gegen den Maschinenpark der postindustriellen Gesellschaft ist Schwarzenegger mit all seinen Muskeln und Waffen machtlos.

Politik der Mattscheibe

Eraser ist nur einer von mehreren neuen amerikanischen Mainstream-Filmen, die sich mit dem Problem der Technisierung und dem Verschwinden des Sichtbaren befassen. In Independence Day geht es zum Beispiel in der ersten halben Stunde nur darum, visuelle Action zu vermitteln, indem die Kamera hastig durch die Räume fährt. Die Handlung selbst spielt sich auf den Bildschirmen von Fernsehern ab, vor denen alle – bis hin zum Präsidenten der Vereinigten Staaten – wie angewurzelt sitzen.

Daß sich Politik und Geschichte bald nur noch auf der Mattscheibe abspielen werde, hat bereits Robert Wises SF-Klassiker The Day the Earth Stood Still (1951) vorweggenommen, in dem das Fernsehen wohl zum ersten Mal in der Geschichte des Kinos ins Zentrum der Erzählung rückte. Als sich beim Golfkrieg Präsident Bush über den Fortgang des Feldzugs bei CNN informierte, statt die Memos seines Geheimdienstes zu lesen, imitierte das Leben vierzig Jahre nach „Der Tag, an dem die Erde stillstand” die Kunst.

Auch in Copykill bekommt Sigourney Weaver ihre Morddrohungen per E-Mail (inklusive Java-Applet!) statt mit der Schneckenpost und loggt sich zum Internet Relay Chat ein. Der Mörder schneidet die Filme von seinen Opfern auf einem PowerMac. In Assassins gehen Sylvester Stallone und Antonio Banderas als Profikiller nicht nur mit Maschinengewehren, sondern auch mit ihren Laptops aufeinander los. (Freilich hat der Film ein sinnlicheres Verhältnis zu den Waffen als zu den Computern: Banderas streichelt und küßt sein Gewehr, das PowerBook wird nur angeschaltet und zugeknallt.)

Auch in Mission Impossible geht es darum, das Visuelle noch einmal der Technologie zu entreißen. Die Handlung dreht sich um Computer und um eine Syquest-Disk, auf der eine Liste von amerikanischen Spionen gespeichert ist; Tom Cruise fahndet sogar im Internet nach den Dieben. Um solche Szenen im Kino wieder irgendwie anschaulich zu machen, gibt es in Hollywood inzwischen Spezialisten, die für Filme eigene Interfaces programmieren, damit jeder versteht, was im Computer passiert: In Mission Impossible verschickt Tom Cruise eine E-Mail, indem er auf ein Briefumschlag-Icon klickt, das daraufhin in die monochrom schwarzen Weiten des Cyberspace entflattert.

Solche Visualisierungen, gegen die die Benutzeroberfläche des Macintosh spartanisch wirkt, stammen von dem Computerberater Andrew Eio, der auch für Hackers Software von After Dark und Netscape zu neuen Benutzeroberflächen umprogrammiert hat, welche selbst Computer-Analphabeten verständlich sind; denn schließlich sollen die Filme auch noch in den Ländern der Dritten Welt verliehen werden, in denen nur die wenigsten Zuschauer im Umgang mit Computern versiert sind. „Wir haben uns kreative Freiheiten genommen”, sagt Eio über seine Screendesigns. „Die Basis ist die Wirklichkeit, die wir ein bißchen fortgeschrieben haben.” Digerati wie Eio werden in den kommenden Jahren wohl immer stärkeren Einfluß auf den „Look” von Hollywoodfilmen nehmen. John Sullivan, der die computergenerierten Spezialeffekte für Eraser gemacht hat, lobt sogar schon das Talent von Arnold Schwarzenegger, mit Computeranimationen zu arbeiten: „Er kennt die Technologie, derer wir uns bedienen, die Computerbilder und Greenscreens.”

In Mission Impossible, Copykill oder Assassins sehen die Benutzeroberflächen auf den ersten Blick verblüffend altmodisch und simpel aus. Das liegt daran, daß die mittlerweile üblichen Programme wie Word 6.0 oder der Netscape-Browser nicht Kino-kompatibel sind: Sie sind zu zart und zu detailreich, um auf einer großen Leinwand etwas herzumachen. Das grobe Interface in dem Computerlabor, in dem Cruise – von der Decke hängend – wichtige Daten herunterlädt, erinnert den Computerfreund darum eher an alte DOS- oder Amiga-Zeiten – anderfalls wäre es im Kino schlicht unansehnlich.

Wirklich in die visuelle Gestaltung des Films integriert ist der Computer jedoch nur an einer einzigen Stelle in Mission Impossible: Als zu Beginn des Films ein Rudel von Geheimdienstleuten in der amerikanischen Botschaft in Prag nach jemandem sucht, überwacht Jon Voight den Einsatz von außen. Die Agenten haben an all den Orten, die man bereits aus James- Bond-Filmen kennt, Mikrokameras versteckt (in der Brille, der Brosche, der Krawattennadel). Die Bilder werden zu Voights Laptop gesendet, auf dessen Monitor sie nebeneinander in kleinen Fensterchen zu sehen sind. Brian de Palma, der in Filmen wie Sisters und Body Double mit der split-screen-Technik (eigentlich einer typischen Siebziger-Jahre-Methode) experimentiert hat, verhilft dieser Technik hier zu neuen Ehren: split screen, mal nicht in Cinemascope, sondern auf Windows 95.

Das Rezept: Mädchen, Knarren und Disketten

Jeder dieser Filme versucht auf seine Weise, Computer in den Film einzubeziehen, ohne auf eine althergebrachte Dramaturgie mit Action, Verfolgungsjagden und Tempo, Tempo, Tempo zu verzichten. Ironischerweise wären freilich viele der spektakulärsten Szenen dieser Filme ohne Computer gar nicht möglich gewesen. Besonders Eraser lebt von special effects, die nur mit schnellen Silicon Graphics-Supercomputern fabriziert werden können. In einer Szene spielt Schwarzenegger im freien Fall Fangen mit einem Fallschirm, später ringt er im Zoo von New York City mit Krokodilen und befördert sie schließlich mit den Worten „You are luggage!” (Ihr seid Gepäckstücke!) ins Jenseits – beides ziemlich unmögliche Stunts, die in Eraser aus Realaufnahmen, Computereffekten und Modellen zusammenmontiert wurden. Das Sichtbare verschwindet im Computer, aber der Computer bringt das Sichtbare auch wieder hervor. Auch die atemberaubende Verfolgungsszene in Mission Impossible, in der ein Helikopter den TGV durch den Eurotunnel jagt, ist zum größten Teil auf der Festplatte von Hochleistungscomputern entstanden.

Zwei Dinge braucht jeder Film, soll David W. Griffith gesagt haben: „A girl and a gun”, ein Mädchen und eine Knarre. In Eraser bringt James Caan diesen Merksatz auf den neuesten Stand der (Digital-)Technik, wenn er brüllt: „Get the girl! Get the gun! And get the disk!” Ein Mädchen, eine Knarre und eine Diskette – Eraser versucht, aus diesen Ingredienzien wieder ein Filmdrama zu machen.

Das Kino hat sich von Anfang an mit dem Verschwinden des Sichtbaren und der körperlichen Arbeit beschäftigt. Wie Harun Farocki in seinem Essayfilm „Arbeiter verlassen die Fabrik” hervorhebt, haben schon die Gebrüder Lumière in ihrem allerersten Film die Kamera auf das Werkstor ihrer Fabrik gerichtet und ihre Arbeiter auf dem Weg aus der Fabrik statt bei der Arbeit gefilmt. Man kann das als ein Symbol nehmen: Als das Kino erfunden wurde, war die große Zeit der mechanisch-industriellen Arbeit schon fast wieder vorbei. Die Geschichte des Kinos ist auch die Geschichte des Verschwindens der körperlichen Arbeit und der Industrie, was umgekehrt auch sein Lebenselexier entzieht: das Sicht- und Abfilmbare. Heute muß in Europa das sterbende Kino genauso vom Staat subventioniert werden wie die sterbende Schwerindustrie.

Die Rache der Modernisierungsverlierer

Eraser endet mit einer symbolischen Szene. Eine Ikone der industriellen Revolution – und des Kinos – hat im großen Finale des Films einen Gastauftritt: die Eisenbahn. Ein Güterzug zermörsert das Auto, in dem die High-Tech-Banditen eingesperrt sind, weil Schwarzenegger an der elektronischen Türverriegelung (!!!) gebastelt hat. Einer der Gewerkschafter sieht wohlgefällig zu.

Das ist die Rache der Modernisierungsverlierer: Wenn wir schon von der Technik überflüssig gemacht und im Kino ausradiert worden sind, dann nehmen wir euch wenigstens mit. Wenigstens dieses eine Mal, wenigstens in diesem einen Film. Ich stelle mir vor, daß diese Szene in einem amerikanischen Kino beim proletarischen Publikum zustimmendes Gebrüll und Szenenapplaus auslösen dürfte. „You’ve just been erased” sind die letzten Worte des Films.

 

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