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"The world is collapsing. Socialism doesn´t work, capitalism doesn´t
work, marriage doesn´t work, work doesn´t work only this works!"
und deutet auf ein Glas Whisky. Dieser prägnante Spruch aus
dem Munde einer Hausfrau stammt aus einer Folge der englischen
Neunziger-Jahre-Langzeit-Seifenoper "Coronation Street". Er markiert
eine Befindlichkeit, die sich seit längerer Zeit um die Fragen
"Quo vadis Kunst" und "Quo vadis gesellschaftliche Utopia" zentrieren.
Der Raum der relativierten und verlorenen Utopien scheint sich
gleichsam zu einem Hort der Beliebigkeit und Bedeutungslosigkeit
entwickelt zu haben, dem sich speziell im Osten Deutschlands ein
Gefühl der sozialen Frustration beimischt. Die euphorisch-illusionistische
Hoffnung eines Neuanfangs von 1989 ist knapp zehn Jahre danach
bereits von westlicher Hegemonie im Keime erstickt. Kommentar
eines Ortsansässigen: "Früher hatte man nicht die Freiheit, zum
Urlaub ins westliche Ausland zu fahren, heute hat man kein Geld
dazu. Eigentlich ist alles beim Alten geblieben. Was früher schlecht
war, ist heute gut, und was früher gut war, ist heute schlecht."
Was erwartet man von einer Veranstaltung, die sich zum Ziel gesetzt
hat, künstlerische Fiktionen in einer ländlichen Region zu präsentieren,
deren Bewohner bei einer Arbeitslosenquote von 20 - 30% andere
Probleme zu haben scheinen, als sich über den derzeitigen Stand
künstlerischer Produktion zu informieren?
Sicherlich kann sich eine solche Veranstaltung nicht anmaßen,
in irgendeiner Weise Lösungsvorschläge für derartige soziale Probleme
zu bieten, aber sie kann durchaus Zeichen setzen und Grenzen sprengen.
Sie bietet zumindest in Ansätzen die Möglichkeit, das Vorurteil
auszuräumen, daß der akademische Diskurs der Kunst nur noch abseits
von den Wünschen, Interessen und Bedürfnissen des einfachen Bürgers,
in den White Cubes der städtischen Galerien und Museen von Berlin,
London oder New York stattfinden kann. Als ebenso wichtig läßt
sich den Strategien der Unterhaltungsindustrie mit ihrer Massenproduktion
aus der Retorte das kleine aber befriedigende Erlebnis entgegenhalten,
wenn die Bewohner des Dorfes gemeinsam mit dem angereisten Künstler-
und Fachpublikum eine Performance auf dem Saaledamm oder die neuesten
Filmproduktionen betrachten und deren Eigenwilligkeit und Andersartigkeit
genießen. Sicherlich funktioniert dieses Experiment nicht immer,
da die Rezeptionsmuster sehr unterschiedlich sind. Die Gemeinde
Tornitz/Werkleitz hat, genauso wie andere Regionen in den neuen
Bundesländern, mit dem Zusammenbruch der kulturellen Autonomie
und Infrastruktur zu kämpfen. Ihre Bewohner stehen normalerweise
vor der Alternative, den Fernseher einzuschalten oder 40 km zum
nächsten Kino zu fahren. Gerade an diesem Ort bedeutet es eine
wichtige Herausforderung, Filme, Ausstellungen und Performances
zu zeigen, besonders wenn sich diese Produktionen der sonst üblichen
Glätte und schnellen Interpretation widersetzen.
Bereits hier scheint so etwas wie eine sub fiction zu existieren,
deren Wirklichkeit anderswo für unrealistisch gehalten würde.
"Kunst auf dem Dorf, wie könne das funktionieren?" ist der Tenor
der meisten Presseberichte. Ein Medienzentrum abseits urbaner
Strukturen galt für viele als ein eher skurriles, denn ernstzunehmendes
Unterfangen.
Daß dies sukzessive Unterstützung erfuhr, bleibt der Verdienst
der vielen FreundInnen und KünstlerInnen, die uns besuchten, der
Gemeinde, die diese Idee von Anfang an begeistert aufnahm, und
einiger aufgeklärter Köpfe im Kultusministerium des Landes, deren
Weitsicht und Frische 1993 ungeachtet der bürokratischen Konventionen
auf ungewöhnliche Modelle setzte. Eine kleine ursprüngliche Utopie
die mit Sicherheit ihre Realisierungschance auch dem Trubel
der Wendezeit verdankte und in den etablierten westlichen Strukturen
nicht in dieser Form umsetzbar gewesen wäre kann mit dieser
Biennale nun auch ihr fünfjähriges Bestehen feiern.
Seit der Gründung der Werkleitz Gesellschaft 1993 durch Film-
und Kulturschaffende und KünstlerInnen aus den alten und neuen
Bundesländern spielten Fiktionen in ihrer konzeptionellen und
realen Ausrichtung eine große Rolle, ebenso wie das Ziel, das
"Unpopuläre" zu unterstützen und eine selbstverwaltete Institution
zu schaffen, deren nicht vorhandenes Manifest sich bis heute durch
eine gewollte Offenheit für neue Formen und Ideen begründet: "Crossing
the Borders", das Überschreiten von (künstlich?) gesetzten Grenzen
innerhalb der Gesellschaft, wie die zwischen Ost und West, zwischen
den einzelnen Kunstsparten und -formen und zwischen den Rezipientengruppen,
wie Pip Chodorov es in einem Interview im New Yorker Millenium
Film Journal 30/31 1997 bezeichnete, als inhaltliches Konzept,
das sich ständig neu definieren muß.
Seit 1996 existiert das Zentrum für künstlerische Bildmedien Sachsen-Anhalt
in seiner durch das Kultusministerium geförderten institutionalisierten
Form. Inzwischen zusätzlich kommissarische Geschäftsstelle des
Medienverbandes Sachsen-Anhalt, betreut es den produktionstechnischen
Bereich der kulturellen Film- und Medienförderung Sachsen-Anhalts
und leistet neben der Koordination von freien Projekten und Programmen,
wie dem "European Media Artists in Residence Exchange/EMARE" (http://www.werkleitz.de/emare) und der "Internationalen Datenbank für Experimentalfilm und
Videokunst oVid" (http://www.werkleitz.de/ovid) sowohl die Arbeit eines Medienbüros als auch die einer Medienwerkstatt.
Diese Entwicklung ist von ihren Anfängen (die erste Veranstaltung
wurde ohne eigene Telefonschaltung und mit einer Schuhschachtel
als Büro organisiert) hin zur notwendigen Professionalisierung
sowohl durch viele Lernprozesse gekennzeichnet als auch auf kritische
Selbstreflexion angewiesen. Dies gilt besonders in Stadien, wo
sich ihre Institutionalisierung in Bürokratisierung zu manifestieren
droht. Für uns stellt sich immer wieder die Frage, wie eine solche
Struktur, eingeschränkt von Verwaltungsauflagen und dem alltäglichen
Pragmatismus, den Ideen und Utopien verpflichtet bleiben kann,
die zu ihrer Gründung führten.
Bei der Konzeptionierung der Biennale-Idee, die sich in ihrer
eigentlichen Form nach der ersten Veranstaltung "Tapetenwechsel"
mit Arbeiten aus den Bereichen Film/Video, Performance und Bildende
Kunst von 41 teilnehmenden KünstlerInnen und Gruppen aus der gesamten
Bundesrepublik 1993 konkretisierte, entwickelte sich die Idee
einer flexiblen, sich stetig verändernden Veranstaltung, die einer
monotonen Repetition durch experimentelle Konzeptionierung und
wechselnder Verantwortlichkeit zu entgehen sucht. (Die eigentlich
für 1995 geplante 2. Werkleitz Biennale wurde auf 1996 verschoben,
um einen jährlichen Wechsel mit "ostranenie" (http://www.ostranenie.org), dem Internationalen Forum Elektronischer Medien an der Stiftung
Bauhaus, zu ermöglichen.)
So wurden bei der 2. Werkleitz Biennale 1996 unter der Leitung
von Marion Kreißler und Martin Conrath und dem Titel "Cluster
Images transmediale Bilder, parallele Netzwerke" (http://www.werkleitz.de/cluster-images) Arbeiten aus den Bereichen Film/Video, Bildende Kunst, Performance
und Neue Medien/Digitale Bilder präsentiert, die einen offensiven
Beitrag zur aktuellen Diskussion um Funktionsmöglichkeiten und
Funktionszuweisungen in der Kunst leisteten. Die Beiträge setzten
sich aus über 70 kuratierten und jurierten, kontextbezogenen Werken
zusammen und repräsentierten internationale Positionen zu diesem
Thema.
Auch "Cluster Images" lag somit der Grundansatz der Biennale zugrunde,
verschiedene künstlerische Bereiche gleichberechtigt zu präsentieren
und auf ihre Korrelationen zu überprüfen. Darüber hinaus stellte
"Cluster Images" den Versuch dar, die Formen und Inhalte der Arbeiten
sowohl ortsbezogen als auch gegenseitig zu verknüpfen.
Da dieses Unterfangen seine Grenzen nicht nur bei den spezifischen
Produktions- und Präsentationsparadigma fand, sondern sich auch
durch die divergierende Palette wichtiger künstlerischer Inhalte
der Bündelung widersetzte, versuchen wir bei sub fiction, dieses
Defizit durch die Auswahl von sechs Fachkuratoren, die unabhängig
ihre Entscheidung getroffen haben, zum Programm zu machen. Die
Kuratoren zeigen durch die Präsentation divergierender künstlerischer
Positionen bewußt ein breites Spektrum des aktuellen Kunstgeschehens.
Daß sich hierbei wiederum Überschneidungen der formal getrennten
Bereiche ergeben, zeigt die Unmöglichkeit der strikten Klassifizierung
künstlerischen Schaffens und liegt im urspünglichen Interesse
der Biennale-Idee. Die Vorgabe der Bereiche sollte hierbei nur
den Ausgangspunkt der Suche nach wichtigen künstlerischen Positionen
bilden und war in keinem Fall als restriktive Eingrenzung gedacht.
Aus dem Konzept der 3. Werkleitz Biennale:
sub fiction dient uns als ein möglicher Ausdruck für die neuen
Entwicklungen jenseits des ursprünglichen Fiktionsbegriffes, zumal
seine begriffliche Nähe zu kleineren und subkulturellen Gruppierungen,
Interessen und Aktionen viel eher den faktischen Phänomenen Rechnung
trägt, mit denen diese "Fiktionen" versuchen, kontextuelle Unterscheidungen
zu definieren.
Mit sub fiction wollen wir Arbeiten vorstellen, die die Reflektion
über den eigenen fiktionalen Gehalt beinhalten und/oder das Experiment
eingehen, die konventionellen Fiktionen und ihre Formen zu sprengen.
Besonders interessieren uns die Interaktionen zwischen Technologie,
Kunst und Gesellschaft; Ausblicke auf die Entwicklung der virtuellen
Medien und ihre Wechselwirkung auf unser Verständnis von Realität,
Fiktion, Identität und Kultur.
Dabei ergeben sich folgende Fragen:
- Welchen Stellenwert hat die Fiktion für die Gesellschaft, welchen
für die Kunst?
- Werden kollektive Fiktionen durch individuelle ersetzt?
- Welche Verschiebungen gibt es in der Bewertung von Fiktion Konstruktion
und Virtualität Realität?
- Erscheint Fiktion in Folge von schon realzeitlich möglichen Datentransporten
nunmehr verstärkt in räumlichen und lokalspezifischen Qualitäten
und Unterscheidungen?
- Wie wird Fiktion durch die Neuen Medien verändert?
- Welche dramaturgische Notwendigkeit steht hinter ihrer Entwicklung?
- Welche relevanten neuen Formen und Inhalte entstehen
dabei in der Kunst und der Populärkultur?
Das Konzept wurde unterschiedlich von den Kuratoren umgesetzt.
Einige fanden direkt Zugang zu den Fragestellungen, andere wählten
unbeirrt die Arbeiten aus, die ihren eigenen Vorstellungen am
nächsten kamen. So gesehen sind wir Gastgeber und Zuschauer zugleich.
Ein spannender Prozeß, für den ich mich an dieser Stelle im Namen
der Werkleitz Gesellschaft bei den Kuratoren Joachim Blank, Thomas
Korschil, Boris Nieslony, Volker Schreiner, Holger Kube Ventura
und Gerhard Wissner bedanken möchte, die mit großem Engagement
die KünstlerInnen auswählten und betreuten. Unser Dank gilt auch
den Förderern, Sponsoren und vielen Helfern, die sich darum bemühten,
daß die Vorstellungen der Kuratoren und KünstlerInnen realisiert
werden konnten.
Daß wir mit den Kuratoren und KünstlerInnen, die bei dieser Biennale
mitwirken, noch ein Potential von individuellen Positionen präsentieren
können, kann nicht den Blick verschleiern, daß es immer schwieriger
wird, solchen Arbeiten Freiräume zu verschaffen, die nicht auf
Selbstausbeutung und kulturpolitische Anbiederung angewiesen sind.
Innerhalb der Produktions- und Warenökonomie entwickeln KünstlerInnen
Strategien und eigene Vorstellungen, die sich in den bestehenden
Gesellschafts-, Markt- und Kunststrukturen subversiv bewegen.
Die Geschichte der Kunst zeigt neben ihrer Vereinnahmung durch
Repräsentation der Herrschenden immer wieder die Bestrebungen
nach Unabhängigkeit der KünstlerInnen von den Zwängen bürokratischer
und marktwirtschaftlicher Orientierung. Dieser Kampf ist im Zeitalter
der Bilderinflation durch die Massenmedien um so drastischer,
da die Produktionsmöglichkeiten derjenigen KünstlerInnen, die
sich der Mittel dieser Medien bedienen wollen, einen schwierigen
und eingeengten Stand widerspiegeln. Im Prinzip gruppiert sich
dieser Streit nach Produktions- und Distributionsmitteln um die
Frage einer auf Veränderung und Erkenntnis vermehrenden beziehungsweise
vermittelnden Auffassung gegenüber einer dem status quo verpflichteten,
affirmativen und konsumorientierten Haltung. Da die Abhängigkeit
bei Kino und Fernsehen von den Quoten der Massenkonsumenten als
immer gern benutztes Argument gegen jeglichen Drang zum künstlerischen
Experiment, gesellschaftskritischer Aussage oder reflexiven Anspruch
ins Feld geführt wird, gelingt in den allerseltensten Fällen der
Durchbruch oder überhaupt der Einbruch einer künstlerischen Produktion
in diese Medien. Die Massenmedien sind nach wie vor der Devise
der Fabrikation vermarktbarer Kollektivfiktionen verpflichtet.
Daß sich inzwischen die Zielkonsumenten in immer kleiner werdende
Sozialisierungsgruppen spalten, wird hoffentlich irgendwann auch
die Großproduzenten zum Nachdenken bewegen. sub fiction steht
daher in gewisser Weise auch für die Verweigerung der sogenannten
Globalisierung als Trademark der transnationalen Konzerne, deren
Intention, die Auflösung der nationalkulturellen Identität zum
Ziele der transglobalen marktorientierten Nivellierung, zu einer
uniformierten Freizeitkonsumkultur führt: "Kulturelle Auffälligkeiten
sind unerwünscht und müssen gegebenenfalls unterdrückt werden.
Nationale Geschichte und Kultur müssen zurückstehen und dürfen
weder durch Opposition noch durch Dialektik gefordert werden.
Sie sind nur Spielarten des einen "Universellen" wie in einem
riesigen Vergnügungspark oder Einkaufszentrum. Kultur wird auf
Museen beschränkt bleiben, und die Museen, Ausstellungen und Theateraufführungen
werden rasch vom Tourismus und anderen Formen der Kommerzialisierung
vereinnahmt werden. Egal, wie subversiv sie anfänglich auch auftreten
mögen, Abweichungen werden von verschiedenen Bereichen der Konsumindustrie,
beispielsweise durch die Unterhaltungsindustrie oder den Tourismus,
aggressiv vereinnahmt, so wie es mit Rap, Grafittis oder auch
klassischer Musik und anderen Formen der Hochkultur passierte."
(Statement von Masao Miyoshi: "Eine Welt ohne Grenze" in dem Buch
zur documenta X, S. 199)
In den individuellen künstlerischen Fiktionen werden die kulturellen
Eigenheiten transportiert, die der spezifischen Sozialisierung
entspringen. Sie benutzen oftmals wiederum den Mainstream als
Quelle, den sie mit ihren eigenen Bildern und Lebenswelten vermischen
oder dessen Politik sie durch Dekonstruktion und Persiflage entlarven.
Die Differenz der verschiedenen künstlerischen Verarbeitungen
des Mainstreameinflusses veranschaulicht sich auch bei einigen
Arbeiten der 3. Werkleitz Biennale. Entgegen dem Hollywoodcredo,
der 40 prozentigen Gleichheit aller menschlichen Gefühle und Bedürfnisse,
setzen sie auf die 60 Prozent Unterschied.
Der Anspruch Hollywoods, die emotionalen Schichten zu erreichen,
die in möglichst großen potentiellen Zielgruppen latent vorhanden
sein sollen (dieser Ansatz wird im Prinzip auch von den internationalen
Sendeanstalten fortgesetzt), führt zum zwanghaften Aufguß der
sich als erfolgreich erweisenden Schemata und Inhalte. So ist
es nicht verwunderlich, daß unter den von der Traumfabrik vermarkteten
Kollektivfiktionen der Katastrophenmythos am Fin de Millenium
Hochkonjunktur hat: Von der "Titanic"Apokalypse (Regie: James
Cameron, USA 1997), die noch an ein historisches-kollektives Traumata
erinnert, über "Deep Impact" (Regie: Mimi Leder, USA 1998) zum
endgültigen Ende aller Tage: "Armageddon" (Regie: Michael Bay,
USA 1998). Hier bringt es der Traumgigant zur unglaublichsten
Perversion. Alle Leistungen der Menschheit, alle wissenschaftlichen
und technologischen Entwicklungen und Erkenntnisse, alle Kriege,
die geführt wurden, bekommen endlich ihre langersehnte Legitimation:
Sie dienen der Meisterung der größten Herausforderung, derer sich
die Welt bisher gegenüber sah. Nur durch nukleare Sprengköpfe,
die Großinstitution Nasa und mit Hilfe der besten Bohrexperten
nebenbei auch Greenpeace-Gegner läßt sich der Bedrohung eines
heranrasenden Kometen begegnen. Was hätte man somit ohne die "lehrreiche"
Erfahrung Hiroshimas gemacht?
Hiroshima liefert das Stichwort zu einem weiteren Gedankengang:
Alain Resnais ließ in "Hiroshima Mon Amour" (Frankreich 1959)
den Besuch des Gedenkmuseums der Opfer von Hiroshima seiner französischen
Protagonistin mit der Bemerkung ihres japanischen Freundes kommentieren:
"Du hast nichts gesehen, du hast alles erfunden." Diese Aussage
verweist auf die Korrelation der Pole Realität Imagination und
Erinnerung Konstruktion, die den Hintergrund für jegliche Betrachtung
über Fiktion bilden. Wir berühren also das Feld des Gedächtnisses
ein Gedächtnis, das vermehrt über Bilder denn über Sprache geprägt
wird, wie Chris Marker es in seinem Filmessay "Sans Soleil" (Frankreich
1982) feststellt: "Ich frage mich, wie die Leute sich erinnern,
die nicht filmen, die nicht fotografieren, die keine Bandaufzeichnungen
machen, wie die Menschheit verfuhr, um sich zu erinnern (
)."
So werden Filmbilder zu historischen Artefakten, zu Dokumenten,
deren Verifizierbarkeit anfangs nur wenige in Frage stellten.
Spätestens seit der Entwicklung der digitalen Medien und der damit
immanent gesteigerten Manipulierbarkeit verliert die an und für
sich schon fiktive Annahme der Objektivität endgültig ihre ohnehin
fragwürdige Glaubwürdigkeit.
Trotzdem arbeiten die großen Mediennachrichtenzentralen immer
noch nach dem Postulat ihrer selbstdeklarierten Objektivität,
obwohl die Grenzen von Realität und ihrer Inszenierung, wie man
es auch bei der Berichterstattung über den Golfkrieg 1991 beobachten
konnte, ständig oszillieren. Kein Wunder also, daß diese Formen
von KünstlerInnen immer wieder aufgegriffen und in Frage gestellt
werden. Zwischenzeitlich weicht die Gruppe der Andersdenkenden
und interessierten auf die kleinen unabhängigen Verbreitungswege
von Information aus, die zwar in den seltensten Fällen eine ökonomisch
lukrative Alternative darstellen, aber näher an den Interessen
und der Philosophie sowohl der ProduzentInnen als auch einer,
wenn auch kleinen, RezipientInnengruppe stehen. Das Wettrennen
der Kulturinstitutionen, durch restriktiv einschneidende Förderreduzierungen
beschleunigt und auf immer spektakulärere Events ausgerichtet,
tut ihr übriges, um diesen Platz weiter zu limitieren. So werden
diese Fiktionen auf die kleinen unabhängig arrangierten und engagierten
Orte beschränkt, an denen sie dann auch vehement weiter zu gedeihen
scheinen, bevor sich die "Erfolgreicheren" unter ihnen der Problematik
der Vereinnahmung ausgesetzt sehen. "Lowtech" stellt dabei ein
nicht nur aus finanziellen Defiziten begründetes, sondern oft
auch ästhetisch und inhaltlich, bewußt eingesetztes Mittel dar,
zumal die tägliche Bilderflut oftmals eine Quelle der Inspiration
darstellt, die mittels Fernseher und Videorekorder zu einem Recycling
und Umkommentieren der Kontexte führt. Inzwischen ist die zweite
und dritte Generation von KünstlerInnen angetreten, um die künstlich
generierten Fiktionen zu ihren eigenen subversiven Vorstellungen
zu dekonstruieren.
Trotz der unterschiedlichen zeitgenössischen künstlerischen Positionen
und Diskussionen, wie zum Beispiel dem Angriff auf das Fernsehbild
als zweidimensionale Verflachung der Darstellung und das erneute
Ausweichen auf den Körper, der Abwendung vom virtuellen zweidimensionalen
Raum hin zur taktilen oder persönlichen Erfahrung, oder dem Spannungsverhältnis
des recycelten Found Footage zu den von ihm benutzten "Populärbildern"
und "Mythen", ist zu vermuten, daß alle bisher entwickelten Medien
vom Papier zur Festplatte (und die damit verbundene Materialität)
weiter Gültigkeit besitzen und nebeneinander existieren werden.
Die Frage bleibt, welche Visionen sie transportieren werden. Was
wird in Zukunft die Aufgabe der Kunst sein? Hat sie überhaupt
eine? Wenn nein, warum sitzen Sie jetzt hier und blättern durch
diesen Katalog?
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